Kurz und knapp:
Am kommenden Freitag, dem 3. Juli, ist es so weit: Dann will die GroKo im Bundestag die Reform des Bundesverfassungsschutzgesetzes verabschieden. Ziel der zahlreichen Gesetzesänderungen ist eine bessere Zusammenarbeit der Verfassungsschutzämter, so lautet wenigstens die offizielle Begründung.
Tatsächlich wird das Bundesamt damit zu einer Super-Behörde,die kaum noch vom Parlament zu kontrollieren ist. V-Leute können weitgehend ungestraft Straftaten begehen. Die Behörde erhält zudem weitere Eingriffsbefugnisse. Dadurch wird das Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten noch weiter verwässert. Nicht nur den Freien Demokraten sollten sich bei solchen Plänen die Nackenhaare sträuben. Wenn sich in der Großen Koalition nicht doch noch einige finden, die Wert auf die Essentials eines funktionierenden Rechtsstaat legen – die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt – dann dürfte der Entwurf das Parlament ungehindert passieren. Da aber auch alle Landesämter von dem Gesetz betroffen sind, wird sich wohl im Bundesrat entscheiden, ob der Entwurf zum Gesetz wird.
Doch der Reihe nach:
Winter 2011, der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) fliegt auf. Jetzt beginnt eine lange, umständliche Aufklärung, die bis heute noch nicht abgeschlossen ist. In Parlamentarischen Untersuchungsausschüssen soll nachvollzogen werden, wie einige Nazis ein ganzes Land ungehindert terrorisieren und Menschen ermorden konnten. Fehler hat es offenbar auch bei denVerfassungsschutzämtern gegeben. Es ist aber immer noch nicht klar, was wer gewusst hat und warum niemand die Mordserie verhinderte. Soweit die Untersuchungsausschüsse ihre Arbeit abgeschlossen haben, sind sie in ihrem Empfehlungen eindeutig: Es bedarf einer besseren parlamentarischen Kontrolle der Geheimdienste. Nur in Thüringen sind die Abgeordneten einen Schritt weiter gegangen und haben das Amt gleich ganz abgeschafft – ein Entschluss, der kein Vorbild sein sollte. Denn natürlich ist der Schutz der Verfassung sinnvoll – wenn es eine gute parlamentarische Kontrolle gibt.
Vor diesem Hintergrund also entstand der Gesetzesentwurf. Doch von den Ausgangsgedanken findet sich in dem Entwurf nichts, aber auch gar nichts wieder. Stattdessen haben wohl die Hardliner unter den Innenpolitikern in ihre Schubladen gegriffen und alle die angestaubten Konzepte hervorgeholt, die sie immer schon einmal umsetzen wollten, aber bisher nicht konnten.
Hier nur einige Beispiele für bedenkliche Änderungen:
– Der Einsatz von V-Leuten wird erstmals in einem Bundesgesetz geregelt. Dieses Gesetz soll festlegen, welche  Straftaten V-Leute begehen dürfen. Formal mag das rechtsstaatlich befriedigend erscheinen. Doch der Gesetzgeber, der Helfer der Sicherheitsbehörden von der Geltung der Strafgesetze freistellt, riskiert die Glaubwürdigkeit eben dieses Rechtsstaates.  Vor allen Dingen ist hier keinerlei parlamentarische Kontrolle vorgesehen. Ob die Grenzen, die das geplante Gesetz dem organisierten Rechtsbruch setzt, wenigstens eingehalten werden, bleibt – wie bisher schon – in der Grauzone geheimdienstlicher Arbeit verborgen.  Gänzlich ungeregelt bleibt der Einsatz von V-Leuten beim MAD.
– Die Zuständigkeit des Verfassungsschutzes, ist durch neue gesetzliche Formulierungen ins Grenzenlose ausgeweitet.
– Bei Abfragen sollen in Zukunft nicht nur die aktenführenden Stellen angezeigt, sondern gleich alle verfügbaren – auch polizeilichen – Dokumente gespeichert und angezeigt werden. Es ist kaum anzunehmen, dass die damit unweigerlich verbundene Datenpanscherei vor den zunehmend strengen Kriterien des Bundesverfassungsgerichts Bestand haben wird.
– Die Unabhängigkeit der Landesämter wurde deutlich beschnitten, sie sind nun in der Pflicht dem Bundesamt zu berichten. Dies mag angesichts der Informationspannen im Umgang mit dem NSU von Vorteil sein. Doch je weniger ein Geheimdienst parlamentarischer und gerichtlicher Kontrolle unterliegt, desto gefährlicher ist die Zentralisierung bei einer Superbehörde. Der freiheitssichernden Funktion von Gewaltenteilung dient auch der föderalen Machtverteilung.
– Der Straftatenkatalog, der beschreibt, bei welchen Ermittlungen in das „Briefgeheimnis“ (Artikel 10-Gesetz) eingegriffen werden darf, wurde stark erweitert
Fazit:
Wie bisher bleibt die parlamentarische Kontrolle der Dienste ein zahnloser Tiger. Grundrechte werden weiter eingeschränkt, ohne dass die Erforderlichkeit solcher Eingriffe durch regelmäßige Wirksamkeitsüberprüfungen sichergestellt ist.  Der Einsatz von V-Leuten wird nicht etwa eingeschränkt, sondern durch die gesetzliche Lizenz, Straftaten  zu begehen, sogar noch ausgeweitet.
Der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz (SPD) hat sich schon vor einiger Zeit zum Entwurf geäußert. Er sehe keinen Bedarf, den Einsatz von V-Leuten gesetzlich zu regeln. Doch: Weitermachen wie bisher ist erst recht keine ernsthafte Option nach all den Skandalen rund um die Verfassungsschutzämter, defintiv nicht! Was wir brauchen, ist nicht nur eine neue rechtsstaatlich hinreichend präzise Aufgabenbeschreibung und Aufgabenbegrenzung geheimdienstlicher Arbeit, sondern vor allem eine wirksame parlamentarische Kontrolle dort, wo aus Geheimschutzgründen die gerichtliche Kontrolle nicht greifen kann.
Wer es ganz genau wissen möchte:
Hier habe ich die Reformvorschläge in das bestehende Gesetz eingearbeitet und markiert: reform_bfv Nicht enthalten sind hier die weiteren Gesetzesänderungen, wie zum Beispiel zum Artikel 10-Gesetz.
Hier ist der Gesetzesentwurf nachzulesen.
Link zum bisherigen Bundesverfassungsschutzgesetz.
Die Kritik der Bundesdatenschutzbeauftragten findet sich hier.