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Alzheimer

Es gibt Interviewtermine, die einem noch lange im Gedächnis bleiben. Der gestrige Termin war so einer. Eine Tochter pflegt ihre Mutter, die Alzheimer hat – bis die 52jährige Tochter selber an ihre Grenzen stößt. Statt aufzugeben, hilft sie heute nun anderen, die selber als pflegende Angehörige nicht mehr ein noch aus wissen.

Hier ist der Link zur Selbsthilfegruppe, dazu gehört auch eine Hilfetelefon.

Und das ist der Text meines Beitrages, welcher morgen Abend im DLF-Magazin läuft:

Ein Sonnenstrahl huscht über das goldumrahmte Ölgemälde hinweg. Ein Mann mit langem, weißen Bart schaut ernst auf den Betrachter hinab, die Frau an seiner Seite ist ganz in schwarz gekleidet: Es sind die Urgroßeltern von Gabriela Zander-Schneider. In ihrem Haus ist Familie allgegenwärtig. Sie sitzt am Wohnzimmertisch, reibt ihre Handflächen aneinander und erzählt mit fester Stimme, was in den vergangen rund 17 Jahren ihr Leben bestimmt hat: Die Alzheimer-Krankheit ihrer Mutter. Zwei Jahre hat sie die heute 75jährige zu Hause gepflegt – ohne auch nur zu ahnen, was da auf sie und ihre Familie zukommt.

1. O-Ton: Versteht nicht 032

Im Umgang mit Demenzkranken, also mit jemanden der meine Worte gar nicht mehr versteht – akustisch ja, aber der sie nicht umsetzen kann, davon hatte mir keiner was gesagt. Da hab ich gedacht: Die will nicht, die ist stur oder habe ihr das dreimal, fünfmal, siebenmal gesagt und irgendwann wird dann auch der Ton natürlich schärfer, nach dem Motto: Ich habe es dir doch gerade gesagt, ich habe es dir doch gerade erklärt. Oder ich hatte sie halb ausgezogen, da zog sie sich wieder an. Das bringt sie ganz schön an den Rand.

Autorin

Anfangs behält die 52jährige noch ihren Job als Assistentin der Geschäftsleitung, doch sehr schnell merkt sie, dass das nicht funktioniert. Sie kündigt, bleibt ganz zu Hause, widmet sich ihrer Mutter Einen Pflegedienst kann und will sie nicht engagieren – der habe viel zu wenig Zeit und nur wenige Minuten pro Patient, sagt Gabriela Zanders Schneider.

2. O-Ton: Pflegedienst 024

Und wenn sie sich vorstellen, sie kommen morgens zur Frau Müller/Meier und sollen innerhalb von zwölf Minuten aus dem Bett holen, ins Bad bringen, waschen und anziehen und Zahnpflege machen, das können Sie mit einem Demenzkranken nicht, der versteht nämlich nicht so schnell was sie wollen. Alleine meine Mutter ins Bad zu bewegen hat ja oft schon zehn Minuten gebraucht, geschweige denn an die Körperpflege dann zu denken.

Autorin

Ehemalige Freunde und Bekannte der Mutter lassen sich nicht mehr blicken, die Familie fühlt sich allein gelassen und muss hilflos mit ansehen, wie sich die kranke Mutter von Tag zu Tag weiter verändert:

3. O-Ton: Queen 031

Das ist das, was einen auch so fertig macht, wenn sie merken, dass derjenige sich gar nicht mehr im Jetzt befindet. Dann hat sie sich mit einem Zeitungsbild unterhalten dann hat sie behauptet, die Queen würde mit bei ihr auf dem Sofa sitzen. Diese Wahrnehmungsstörungen haben ihr keine Angst gemacht. Aber mich hat es dann doch entsetzt, dass sie plötzlich Dinge sieht, die für uns gar nicht vorhanden waren.

Autorin

Die Wohnung wird regelrecht „kindersicher“ gemacht, damit der Alzheimer Patientin nichts zustößt und sie sich nichts selber antun kann:

4. O-Ton: Streichhölzer 022

Oder dann haben wir gedacht wir hätten alles sicher in der Wohnung: Kein Feuerzeug, keine Streichhölzer, keine Kerzen und dann eines Nachmittags hatte sie eine ganze Reihe abgebrochener Streichhölzer im Wohnzimmer auf den Teppich liegen. Gott sei Dank hat sie nicht geschafft, die zum Brennen zu bringen. Ich weiß bis heute nicht wo sie sie her gehabt hat.

Autorin

Dieses ständige Beaufsichtigen zehrt an den Nerven aller Beteiligten:

5. O-Ton: Persönlichkeit010

Also was mir weh getan hat, war einfach auch, ihr all diese Dinge wegnehmen zu müssen und damit auch ihre Persönlichkeit demontieren zu müssen, so ist mir das damals vorgekommen.

Autorin

Gabriela Zander Schneider und ihr Mann vereinsamen zusehends. Ein Treffen mit Freunden ist genauso unmöglich wie ein Kinobesuch. Ein Arztbesuch der Tochter – unmöglich. die Mutter kann keine Sekunde allein gelassen werden. Das war für alle kaum auszuhalten, sagt der Ehemann, und:

6. O-Ton: Beistand 042

Die Möglichkeit dass wir uns unterhalten haben, eigene Probleme besprochen haben aber auch Probleme die tagsüber mit der Mutter aus der Pflege erwachsen sind waren dann abends erst ab 22 Uhr möglich. D.H. die Zeit zwischen 22 Uhr, Mitternacht, morgens um eins, das war die Zeit in der wir versucht haben selbst ins reine zu kommen, in der ich, wenn meine Frau down war versucht habe sie etwas aufzurichten, Beistand zu leisten, was dann dazu führte dass die Ermüdung und Erschöpfung auch bei mir im Laufe der Woche immer weiter zu genommen hat. Und über das Jahr merkt man dann, dass das Wochenende nicht mehr ausreicht für die Erholung.

Autorin

Erholung ist also auch unmöglich, es bleibt nur die Gewissheit, dass der Zustand der Mutter sich nicht mehr verbessern, sondern immer weiter verschlimmern wird. Bis eines Tages etwas geschieht, womit niemand gerechnet hätte:

7. O-Ton: Erlebnis 039

Das war eines Sonntags morgens, als ich meine Mutter fertig machen wollte, Also, beim anziehen und waschen helfen wollte, ich stand dann sehr unglücklich mit dem Rücken zum Bett und habe versucht meiner Mutter die Knöpfe vom Nachthemd aufzumachen und dann hat sie mir die Hände um den Hals gelegt und weil ich unglücklicherweise mit dem Rücken zum Bett stand bin ich nach hinten auf das Bett gefallen und sie kniete im Null Komma nix auf mir und drückte mir den Hals zu. … Und das hat dann allerdings dazu geführt, das klar war es musste was passieren. Denn das war der Punkt wo ich dann überhaupt nicht mehr konnte.

Autorin

Der Familienrat tagt und gemeinsam wird beschlossen, dass ein Mensch alleine, die Pflege gar nicht leisten kann, die ihre Mutter nun bräuchte. Nach intensiver Suche findet die Familie ein Heim, wo die alte Dame heute lebt. Und obwohl Gabriela Zander Schneider zwei Jahre ihres Lebens komplett für ihre Mutter geopfert hat, fühlt sie sich „schuldig“:

8. O-Ton: Versagt 007

Weil das Gefühl versagt zu haben, haben wohl alle pflegenden Angehörigen, wenn sie es weiter nicht mehr schaffen.

Autorin

Die Pflege der Mutter hat Spuren bei der 52järhigen hinterlassen – und das Gefühl der Ohnmacht und Hilflosigkeit. Sie weiß wie dringend gerade auch die Angehörigen von Alzheimerkranken Unterstützung brauchen – eine Unterstützung die aber noch rar ist. Deshalb hat Gabriela Zander Schneider vor drei Jahren die Selbsthilfegruppe „Meine Heile Welt“ gegründet und ein Hilfetelefon eingerichtet. Rund um die Uhr können Angehörige von Alzheimerpatienten sich bei ihr melden. Sie gibt ihnen Tipps zum Umgang mit der Situation, nennt ihnen Adressen, wo ihnen weiter geholfen wird und fährt auch schon einmal selber zu den Betroffenen und unterstützt sie. „Damit es anderen nicht so ergeht, wie es mir ergangen ist“, sagt sie und lächelt.