Deutschlandfunk, DLF-Magazin: Nachgefragt: Was ist aus der Antifa geworden?
Von Claudia Sanders
Die Antifa-Szene in Deutschland verzeichnet einen deutlichen Rückgang. Die älteste Antifa-Gruppe in Göttingen hat sich aufgelöst, ebenso wie die Kölner Antifa. Beide galten als Hochburgen der Szene. Und auch Andernorts tritt die in den 80er und 90er Jahren noch so präsente Antifa kaum mehr zu Tage.
Georg schiebt die Kaffeetasse ein wenig zur Seite und fixiert sein Gegenüber. Lässig schlägt der 45-Jährige seine Beine übereinander und erzählt: Es ist noch gar nicht so lange her, da ist er – schwarz vermummt – immer dann auf der Straße gewesen, wenn Rechtsextreme zum Aufmarsch riefen. Georg war einer der führenden Köpfe der linksextremen Antifa in seiner Heimatstadt, irgendwo im Rheinland. Zur Antifa gehöre in einem gewissen Rahmen auch die Gewalt, meint Georg:
„Zumal Militanz in meinen Augen kein Jugendphänomen ist, sondern eine Grundhaltung, die sich nicht unbedingt in der Praxis im Steineschmeißen oder im Kloppen mit den Nazis äußert, sondern es ist eine Geisteshaltung, die sagt: Zu unserer Politik, zu unserer Art Politik zu machen, gehört im Zweifelsfalle – nach Überlegung und Abwägung – auch das Mittel der Militanz.“
Einst gründete sich die Antifaschistische Bewegung als Gegengewicht zum italienischen Diktator Mussolini. 1923 entstand auch in Deutschland eine Antifaschistische Aktion. Die heutige Antifa – mit den schwarz gekleideten Demonstranten, die teilweise mit Gewalt Neo-Nazis an ihren Aufmärschen hindern wollen – hat ihren Ursprung in den 80er Jahren und entstand aus der Autonomen Szene. Mit der Wiedervereinigung und den Anschlägen von Rostock und Mölln Anfang der 90er Jahre hat die Antifa einen starken Zulauf erhalten. Wobei die Ziele nicht immer eindeutig waren, erinnert sich Georg:
„Das liegt in erster Linie daran, dass ich Antifa immer so verstanden haben, dass Antifa mehr ist als nur gegen Nazis. Und das war zu Anfang der Antifa-Bewegung nicht unbedingt Konsens in den Antifa-Gruppen, die haben sich sehr, sehr stark auf Anti-Nazi-Arbeit oder klassische Antifa-Arbeit fokussiert, während ich wie viele andere seit Mitte der 90er Jahre versucht habe, aus der Antifa-Bewegung eine Bewegung zu machen, die sich allgemein politischen Fragen stellt.“
Doch das sei ihm und den anderen nicht gelungen. Tatsächlich definiert sich die Antifa heute in erster Linie über Rechtsextreme, die sie oft mit allen Mitteln bekämpfen wollen. Das Ziel teilt Georg zwar, aber ihm fehlt die allgemeine politische Basis, also zieht er die Konsequenzen und steigt aus. Vor wenigen Monaten war das. Nach gut 15 Jahren Antifa.
„Menschen, die älter werden, ich merke das ja mittlerweile selbst an mir, haben eine andere Lebensrealität, haben einen anderen Tagesablauf. Ob sich Menschen jetzt entscheiden, mit dem Partner zusammenzuziehen, Kinder zu kriegen, oder das Berufsleben füllt einen größeren Teil des Tages aus, da kann man einfach nicht mehr so intensiv Politik machen, wie es 10 bis 15 Jahre vorher der Fall war.“
Insgesamt hat die Antifa-Szene einen deutlichen Rückgang zu verzeichnen. Die älteste Antifa-Gruppe – Göttingen – hat sich aufgelöst, ebenso wie die Kölner Antifa. Beide galten als Hochburgen der Szene. Aktiv sind dagegen noch Hamburg und Berlin – entgegen dem allgemeinen Trend. Die meisten Antifa-Gruppen treten nur noch dann in Erscheinung, wenn in ihrer Stadt eine rechte Demonstration angemeldet ist, weiß Hartwig Möller, der Chef des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes. Die Gründe dafür seien nicht eindeutig:
„Die Zahl der Linksextremisten, mit denen wir auch als Verfassungsschutz zu tun haben, mit denen wir wirklich diskutieren, die wirklich eine hohe Theoriesicherheit hatten, wie das frühere Studenten noch hatten, die sich als überzeugte Linksextremisten, Marxisten zeigten, die nimmt immer mehr ab. Die ideologische Festigkeit, die Diskussionssicherheit vieler Linksextremisten ist heute nicht mehr gegeben.“
Auch innerhalb der linksextremen Szene gibt es Auseinandersetzungen. Die wesentliche ist die um den Nah-Ost-Konflikt. Die einen halten – verkürzt formuliert – zu den Palästinensern. Die anderen unterstützen Israel und die USA und nennen sich die „Anti-Deutschen“. Hartwig Möller:
„Die Beobachtung, dass sich alt gediente Antifa-Gruppen aufspalten oder auflösen: In der Analyse ist umstritten, ob dies allein dem Aufkommen antideutscher Bestrebungen oder ob ein allgemeiner Rückgang des politischen Interesses dafür verantwortlich ist.“
Fakt ist: Straftaten der Antifa werden heute in erster Linie im Umfeld von rechtsextremen Demonstrationen verzeichnet. Lediglich jedoch die tätliche, auf niedrigem Niveau dümpelnde Auseinandersetzung mit Rechten oder als rechts empfundenen Strukturen bietet den Autonomen einen Bezugspunkt. Im vergangenen Jahr wurden bundesweit 2300 linksextremistische Straftaten notiert. Zum Vergleich: Rechtsextremistische Straftaten schlugen mit knapp 12.600 Fällen zu Buche, wie das Bundesinnenministerium gestern bekannt gegeben hat. Damit ist die Zahl der linksextremen Taten – also nicht nur Antifa-Gruppen – zwar deutlich angestiegen, dennoch ist für Hartwig Möller die Tendenz klar:
„Dagegen ist eine immer stärkere Aufweichung zu erkennen. Alternative Subkulturen, Umwelt- und Friedens- und Punk-Szene und studentische Organisationen bilden nicht nur Schnittstellen zur autonomen Szene, sondern integrieren diese in einer Weise, die zu deren Marginalisierung führt.“
Letztlich fehle es der Szene aber an Anerkennung von außen, meint Georg.
„Wenn aber über Jahre hinweg der Erfolg ausbleibt, wenn die Organisierungsbemühungen abflauen, wenn man sieht, man wird nicht mehr, wenn man, obwohl es immer ein autonomer Ansatz war, sich nicht als Teil der Gesellschaft zu begreifen, sind es doch Nadelstiche immer wieder und immer wieder nicht akzeptiert zu werden, obwohl man eigentlich für die richtige Sache steht.“